Beitrag vom Christiane Brunnée

Erinnern und Vergessen

Weil unser Leben eine fortlaufende Veränderung ist, muss das Gehirn sowohl Neues lernen als auch Gelerntes vergessen können. Niemand kann sich alles merken, und das ist auch nicht sinnvoll. Die meisten Dinge gehen nur ins Kurzzeitgedächtnis, wo sie schnell wieder „gelöscht“ werden. Welche Dinge das Gehirn von dort in das Langzeitgedächtnis abspeichert, ist ein sehr komplexer physiologischer Vorgang. Erinnern und Vergessen haben dieselben Mechanismen, das Erlebte zu verarbeiten.

Erinnern und Vergessen gehören zusammen wie Ying und Yang.

Wenn ein Kind auf die Welt kommt, bringt es alles mit – sein Wesen, seine Begabungen, sein Temperament. Das Leben, die Welt, die Ereignisse und unsere Mitmenschen machen uns zu den Persönlichkeiten, die wir sind. Manche sind gestalten ihr Leben aktiv, andere weniger. Jeder Mensch ist ein unverwechselbares Individuum. Wie entwickelt sich eine Persönlichkeit? Wie werden wir, was wir sind?

Erinnerungen bewahren unsere Erlebnisse im Gedächtnis, dem zentralen Bestandteil unseres Seins. Doch sie sind nie vollständig, sondern voller Lücken und oft auch Täuschung. Wir vergessen Dinge, Erinnerungen verblassen oder formen sich um. So ist das Gehirn, es speichert Vergangenes nicht als unveränderliche Fakten, es sind vor allem starke Gefühle, die sich uns langfristig einprägen.

Die moderne Gedächtnisforschung untersucht, welche Faktoten unser Erinnerungsvermögen bestimmen, wie die unzähligen Informationen, die auf uns einprasseln, neurologisch verarbeitet werden. Zur Differenzierung wurden vier Kategorien des Erinnerns entworfen: Das prozedurale Gedächtnis für Bewegungsabläufe, das semantische Gedächtnis für faktische Informationen, das perzeptuale Gedächtnis für eher vages Wiedererkennen, das episodische Gedächtnis für die individuelle Biografie

Das episodische Gedächtnis funktioniert sehr kompliziert und besteht aus bewussten und unbewusst gebildeten Narrativen. Einfach gesagt, unsere Vergangenheit merken wir uns als eine Geschichte, wie wir sie wahrgenommen haben. Dabei verschiebt sich die Grenze zwischen Wahrheit und Erfindung unmerklich.

Jeder hat das wohl schon einmal erlebt, wie unterschiedlich die Darstellung ein und derselben Begebenheit von verschiedenen Personen geschildert wird. Das hängt damit zusammen, dass unser Gedächtnis nicht wie eine Computerfestplatte objektive Fakten speichert, sondern eine individuelle Wahrnehmung.

Es geht noch weiter: Unsere Erinnerungsbilder verändern sich mit der Zeit. Die einen verblassen, wenn sie lange nicht abgerufen werden, dann müssen wir lange überlegen. Andere werden überlagert von Fotos, verändert durch das, was inzwischen im Leben passiert ist, oder sie werden im Laufe der Jahre geschönt. So ist der Mensch…

Glück ist nichts was man erlebt, sondern woran man sich erinnert.“
Oscar Levant